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Sächsische Zeitung, Freitag, 26.April 2019

 

Magische Illusion

In Karen Gäblers Malerei trifft zeitgenössisches Können auf alte Meisterschaft.

 

Von Harald Marx

 

Geschichte trifft Gegenwart – aber alles bleibt ein Tagtraum. Auf den Bildern von Karen Gäbler begegnen wir Menschen, die entrückt wirken, bei aller Deutlichkeit der Darstellung. Die Räume sind magisch aufgeladen. Einige der Arbeiten sind von stiller Poesie durchdrungen, andere zeigen eine verblüffende, geradezu tänzerische Akrobatik des Alltags.

            Beim Betrachten stellen sich Fragen. Kann man aus der Verbindung von eigener Beobachtung mit dem Blick in die Tiefen der Geschichte neue figürliche Welten erschaffen? Karen Gäbler gelingt es: Die Eindrücke, die sie von Kunstwerken erfährt, verändern ihren Blick auf die Realität. Ihre persönlichen Erlebnisse im Hier und Jetzt erinnern sie an gemalte Bilder aus der Vergangenheit und führen zu diesen verblüffenden Begegnungen in ihren Gemälden.

            Die eindrucksvollen, oft großformatigen Werke, von denen nur wenige beruhigend, manche sogar beängstigend sind, kann man nur schwer vergessen. Da sitzt eine junge Frau – es ist keine Frage, wer das ist -, frontal erfasst, unbeteiligt und konzentriert, vielleicht sogar zornig auf einer Bank und zerschneidet eine Puppe von sich selbst: „Änderungsschneiderei“, so heißt das Gemälde.

            Hier wird zerstückelt. Aber warum? Geht es, so wie bisher, nicht mehr weiter? Zerstört die Künstlerin das Abbild ihrer selbst? Die Teile fügen sich nicht zu neuer Gestalt. Einzelne Gliedmaßen liegen am Boden, zwei Köpfe. Es fließt kein Blut. Gewänder und Schuhe rot. Der Hintergrund blau. Solche Träume möchte man nicht haben. Grausam, wie manche Märchen der Brüder Grimm.

            Beängstigend auch: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“. In seinem Grafik-Zyklus „Caprichos“, Blatt 43, zeigt Francisco Goya 1797 einen Schläfer im Sitzen. Er lehnt sich auf ein Podest, hat die Arme unter dem Kopf verschränkt, träumt: Es ist ein Albtraum. Eulen und riesige Fledermäuse stürzen sich auf ihn. Eine große, hellwache Katze sitzt neben ihm, wartet auf ihre Stunde. Aus dem Podest ist eine Mülltonne geworden. Hoffnung sieht anders aus.

            Die Wirkung der Bilder – manchmal, wie ein Plakat. Oder wie die Graffiti – gesprüht auf bröckelnden oder beschmierten Putz. Aber alles ist tatsächlich gemalt, ganz traditionell. Abbröckelnden Putz und beschmierte Wände sieht sie täglich: Karen Gäbler wohnt und arbeitet in der Dresdner Neustadt. Durch ihren Beruf als Restauratorin ist sie verbunden mit alter Malerei; und dass sie sehr wach die Welt betrachtet, in der sie lebt und in der wir alle leben, das spürt man auch. Was aus dieser Verbindung künstlerisch entsteht, ist magische Illusion.

            Es gibt in der Ausstellung Bilder, bei denen die Komposition durchdrungen ist von der Erinnerung an einen bestimmten alten Meister, an Jan Vermeer von Delft beispielsweise, oder an Tizian oder an Tintoretto. Dann gibt es andere, bei denen kommen einfach nur Gestalten aus Bildern ins neue Bild. Das Jesuskind von Leonardo da Vinci, aus der „Felsenmadonna“, heute im Louvre in Paris, herbeizitiert wie bei einer Geisterbeschwörung. Jacopo Tintoretto, der große venezianische Maler des Manierismus, hat der Marcus-Legende drei Gemälde gewidmet. Das berühmteste befindet sich in der Galleria dell’Accademia in Venedig und zeigt einen Platz, von prächtiger Architektur umgeben. Im Hintergrund der Scheiterhaufen, hoch geschichtet. Hier sollte der Leichnam des Evangelisten verbrannt werden. Die Stimmung ist bedrohlich, der Himmel von Wolken zerrissen, ein Gewittersturm. Er jagt die Menschen zur Seite und vor sich her, bei Tintoretto und bei Karen Gäbler, die bei ihrer Komposition mit dem Titel „Panik“, von dem Gemälde des Venezianers ausgegangen ist. 

            Was führt ein akrobatisch bewegtes, junges Mädchen mit Leder-Schulranzen zusammen mit dem Christus aus der „Kreuzabnahme“ von Rogier van der Weyden? Entstanden um 1435, heute im Prado in Madrid. Der steinerne Türrahmen erscheint wie die Umrahmung einer Skulpturennische. Die Begegnung, als Vision, lässt die Dargestellte erschreckt zusammenzucken und trifft sie unvermittelt, mitten im Alltag, wird zur Verneigung und schließlich zur Verehrung.

            Beeindruckendes technisches Können begegnet Pop-Kultur und Ausdruckstanz, trifft Spätgotik, trifft Renaissance und Barock und Surrealismus – und wir stehen beeindruckt und verwundert in dieser Ausstellung.

 

Rezension zur Ausstellung in der Villa Eschebach, Dresden  in der Zeit vom 10.04.2019 bis 07.06.2019

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